VFL-INSIDER. Interview mit VfL-Boss Hans-Peter Villis

Herr Villis, ein Blick zurück.  Was waren Ihre größten Erfolge in den letzten fünf Jahren?
Sämtliche Erfolge haben wir als Team errungen, ob auf dem Rasen oder außerhalb. Und wir dürfen bei der Gesamtbetrachtung nicht außer Acht lassen, wo wir herkamen. Deshalb reicht ein Blick auf die vergangenen fünf Jahre nicht aus, man muss die gesamte Entwicklung betrachten. Wir haben ein Jahrzehnt in der 2. Bundesliga verbracht, unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen. In der ersten Phase, damals noch als Aufsichtsrat, haben wir die wirtschaftliche Konsolidierung vorangetrieben. Es ist uns gelungen, den VfL unter Zweitligabedingungen wieder wettbewerbsfähig zu machen. Wir sind für Partner und Sponsoren durch kontinuierlich seriöse und erfolgreiche Arbeit attraktiv geworden und sind es auch weiterhin. Der wirtschaftliche Erfolg versetzte uns in die Lage, zum Beispiel wieder Ablösesummen zahlen zu können, sodass ein Kader zusammengestellt werden konnte, der um den Aufstieg mitspielte und schließlich auch Zweitligameister wurde. Dieses ist uns unter erneut enormen finanziellen Herausforderungen gelungen, denn die Corona-Pandemie mit Lockdown und Zuschauerausschluss hat dem VfL vieles abverlangt. Wir sind also da, wo wir immer hinwollten und dieses Ziel auch nie aus den Augen verloren haben: in der Bundesliga. Und hier möchten wir auch so lange wie möglich bleiben, auch wenn uns bewusst ist, dass wir wie im vergangenen Jahr dafür überperformen müssen. Letzte Saison waren wir der Tabellenvorletzte, zieht man die Etats aller 18 Erstligaclubs heran, dieses Jahr sind wir in dieser Kategorie mit gehörigem Abstand Letzter, trotz einer enormen Steigerung unseres eigenen Etats. Dennoch gilt in dieser Saison dasselbe wie im vergangenen Jahr: Wir nehmen die Herausforderung an und sind sehr optimistisch, dass wir den Klassenerhalt erneut schaffen können. Gerade in den vergangenen vier Jahren konnte die Öffentlichkeit sehen, wie kontinuierlich erfolgreich wir sind, wenn es innerhalb des Vereins ruhig ist und man vertrauensvoll zusammenarbeiten kann. Das belegen auch die Mitgliederzahlen, die sich in den vergangenen Jahren nahezu verdoppelt haben. Wirtschaftlich sind wir trotz der pandemiebedingten Rückschläge wieder auf einem sehr guten Weg. Der VfL ist eine erstklassige Adresse, daran soll sich auch in den kommenden Jahren nichts ändern.

Wenn Sie selbstkritisch in den Rückspiegel schauen. Welche Entscheidungen würde Sie anders machen, was ist Ihnen und Ihrem Team nicht gut gelungen?
Was viele nicht berücksichtigen: Entscheidungen muss man unter Einbeziehung aller zu dem Zeitpunkt bekannten Fakten treffen. Im Nachhinein darüber zu urteilen, ist sicher ein leichtes. Mit dem Wissen von heute würden wir wahrscheinlich die eine oder andere Entscheidung kritisch hinterfragen. Aber: So funktioniert es leider nicht. Entscheidungen werden nach bestem Wissen und Gewissen getroffen. Unser Blick geht in allererster Linie nach vorn, welche Herausforderungen vor uns liegen und wie wir sie bewältigen wollen.

In den letzten Jahren hat man in der Öffentlichkeit viel von Ihnen und teilweise von Martin Kree wahrgenommen. Beschreiben Sie uns bitte, wofür Sie und die anderen Präsidiumsmitglieder stehen und welche Stärken und Netzwerke jeder einzelne mit einbringt?
Juristisch, wirtschaftlich, personal- und verwaltungstechnisch, wissenschaftlich, sportlich: Wir haben das gesamte Spektrum, sind sehr breit aufgestellt. Dr. Andreas Eickhoff ist Partner der renommierten Sozietät Aulinger Rechtsanwälte Notare, er nimmt die juristische Perspektive ein. Uwe Tigges hat als ehemaliger Betriebsrat unter Beweis gestellt, wie man hervorragend mit Personal umgeht, hat mit Innogy ein großes Unternehmen geführt und ist sehr gut vernetzt. Dr. Christina Reinhart managt als Kanzlerin der Ruhr-Universität Bochum ein breit angelegtes Konstrukt, als Wissenschaftlerin bringt sie zudem eine neue Sichtweise mit ein. Die VfL-Legende Jupp Tenhagen ist beim VfL einer der Rekordspieler, hat seine Trainerlaufbahn hier begonnen, kennt das Innenleben eine Kabine sowie die Perspektive des Coaches, ist im Sport und als Unternehmer vernetzt. Dem Präsidium gehören zudem noch der Vorsitzende des Wirtschaftsrats sowie der gewählte Fanclubvertreter an, also Volker Goldmann und Martin Volpers.

Welche Ziele verfolgen Sie mit ihrem Team? Wofür stehen Sie? Was wollen sie kurz- mittel-langfristig erreichen?
Wachstum und Kontinuität sind essenziell, diesen Weg der erfolgreichen vergangenen Jahre gehen wir weiter. Ein sehr wichtiger Punkt: Wir sind in laufenden Gesprächen mit der Stadt zum Thema Optimierung des Stadions. Unser Talentwerk leistet hervorragende Arbeit, in Paul Grave, Mo Tolba und Tim Oermann haben wir drei Spieler, die Teil unseres Profikaders sind. Der DFB hat vier Spieler Bochumer Prägung fürs WM-Aufgebot nominiert: Ilkay Gündogan, Leon Goretzka, Lukas Klostermann und Armel Bella Kotchap. Die Talentwerk-Führung ist neu aufgestellt, breiter als zuvor, um den gestiegenen Erfordernissen adäquat zu begegnen. Patrick Fabian arbeitet, zusammen mit der Talentwerk-Führung, an einem Konzept, gemäß dem wir verstärkt in die Infrastruktur des Nachwuchsleistungszentrums investieren. Wir benötigen neue Umkleiden, einen weiteren Trainingsplatz, einen Kraftraum zum Beispiel. Dafür gilt es auch, neue Finanzierungsmodelle für unsere Jugend zu finden. Selbstverständlich werden wir nach wie vor das Investor-Thema verfolgen. Aber immer unter der Maßgabe, dass ein Investor zum VfL Bochum passen muss. Digitalisierung ist ein großes Thema. Wir machen gute Fortschritte, die es noch zu verstärken gilt, etwa über soziale Medien Vertriebswege und Geschäftsmodelle aufzustellen. All dies ist aber immer das Ergebnis einer gemeinsamen Erarbeitung mit der Geschäftsführung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das Präsidium hat eine Aufsichts- und eine beratende Funktion. Wir stehen komplett hinter den Strategien, die unsere Geschäftsführung verantwortlich in den vergangenen Jahren vorgelegt hat und unterstützen sie dabei, sie weiterzuentwickeln und umzusetzen.

Martin Kree kandidiert nicht weiter für einen Platz im Präsidium. Eine seiner Stärken war in der Vergangenheit der Bereich der sportlichen Kompetenz, die er in Ihr Team eingebracht hat. Können Sie uns sagen, warum er nicht mehr zur Verfügung steht?
Wie er uns mitgeteilt hat, aus persönlichen Gründen. Wir bedauern seinen Rückzug, respektieren und akzeptieren ihn aber selbstverständlich.

Sie haben am Dienstag angekündigt, Frau Dr. Christina Reinhardt für den vakanten Posten für das Präsidium zu nominieren. Somit verstärken Sie ihr Team mit einer weiteren Position aus der Wirtschaft, jedoch nicht 1:1 im sportlichen Bereich. Warum wird niemand mit sportlicher Kompetenz vorgeschlagen? Besteht nicht die Gefahr, dass durch diese Neu-Besetzung das Präsidium noch stärker im Bereich der Wirtschaft konzentriert wird, jedoch der elementar wichtige sportliche Bereich vernachlässigt wird?
Sie können sicher sein, dass wir unser Hauptaugenmerk immer auf den Sport legen. Jupp Tenhagen verfügt als ehemaliger Spieler und Trainer über die entsprechende Expertise, auch unser Gremium hat sich durch eigene Netzwerke und langjährige Arbeit weiterentwickelt. Die Auswahl der sportlichen Leitung, angefangen beim Geschäftsführer Sport, ist eminent wichtig. Hier sind wir erneut gut aufgestellt, Patrick Fabian hat unser volles Vertrauen.

Viele VfL-Fans werfen ihnen persönlich vor (u.a. offener Brief der Ultras), bei Entscheidungen nicht immer von Anfang an mit der nötigen Transparenz zu kommunizieren. Ein aktuelles Beispiel: Die „Bundesliga-Architekten“ des Bochumer Aufstiegs – Sebastian Schindzielorz – und -Thomas Reis- sind nicht mehr beim VfL tätig.
Viele Fans haben bis heute immer noch nicht verstanden und werfen ihnen vor, nicht alles für den Verbleib, gerade von Sebastian Schindzielorz, getan zu haben. Warum ist es Ihnen nicht gelungen, ihn zu halten?
Nicht alles für seinen Verbleib getan zu haben, ist schlichtweg falsch. Es wurden schon Ende letzten Jahres Gespräche mit Sebastian Schindzielorz geführt, denen weitere folgten. Ich war selbst überrascht, dass er seinen sehr wettbewerbsfähigen Vertrag gekündigt hat. Wir haben ihm die Möglichkeit gegeben, nach dem Ende seiner Profikarriere beim VfL Bochum bis zum Vorstand bzw. Geschäftsführer Sport aufzusteigen und sich dort zu profilieren. Eine größere Form der Wertschätzung kann es kaum geben. Wir haben ihm die Aufgabe zugetraut, und er hat einen guten Job gemacht. Deshalb wollten wir ihn auch halten. Aber: Es ist immer ein Geben und Nehmen.


War es im Nachgang ein Fehler, Sebastian Schindzielorz, die komplette Verantwortung für die Kaderplanung der neuen Saison zu überlassen?
Nein. Es war kein Fehler, ihm bei der Kaderplanung zu vertrauen. Wir haben ihm bei der Saisonplanung im Aufstiegsjahr vertraut, wie auch in den Spielzeiten zuvor, das gilt für das gesamte Präsidium. Wir betonen immer wieder: Der VfL ist keine One-Man-Show. Der Kader ist beim VfL Bochum immer das Ergebnis intensiver Diskussionen zwischen der Geschäftsführung, den Scouts, der Sportlichen Leitung und dem Präsidium. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Kader wettbewerbsfähig ist und die Klasse halten wird.

Auch Ex-Coach Thomas Reis hat sich darüber beschwert, nicht seine gewünschten Spieler, bei den vielen Abgängen von Leistungsträgern, neu verpflichten zu können. 
Wie ist Ihre Sicht dazu? Wie hoch war der von ihnen freigegebene Transferetat und wurden wirklich alle zur Verfügung stehenden Mittel zu 100 % investiert?

Thomas Reis hat sich öffentlich dazu bekannt, dass er dem Kader zutraut, den Klassenerhalt zu schaffen und hat auf den letzten Metern des Transferfensters noch verlautbart, auf weitere Neuzugänge zu verzichten, obwohl das Budget es noch hergegeben hätte. Wir haben das Budget des Kaders gegenüber der Vorsaison signifikant erhöht, von 24 auf 31,5 Millionen Euro. Rund 40 Prozent unseres Umsatzes werden für den Lizenzspielerkader aufgewendet, das ist ein gesunder Wert.


Wie viel Geld stellen Sie – aufgrund der aktuellen schwierigen Situation – im Winter für Transfers zur Verfügung, um den Klassenerhalt realistischer machen?
Wir haben aus oben genannten Gründen nach wie vor die Flexibilität, um in der WM-Pause über Verstärkungen nachzudenken. Diese werden wir auch nutzen, wenn gewünscht.

Würde der VfL Bochum einen Abstieg finanziell stemmen können? Welche spürbaren Konsequenzen würden dadurch entstehen?
Wir wären in der Lage, weiterhin unser Ziel zu verfolgen, zu den Top-25-Clubs in Fußball-Deutschland zu gehören. Doch zunächst einmal konzentrieren wir uns darauf, den Klassenerhalt zu schaffen. Dass wir ihn schaffen können, haben wir gesehen. Die Mannschaft stemmt sich dagegen, sie ist wettbewerbsfähig. Seitdem Thomas Letsch die Verantwortung übernommen hat, hat die Mannschaft die Hälfte der Spiele gewonnen. Hält sie diesen Schnitt, bleiben wir in der Liga.

Wenn Sie drei Wünsche für den VfL hätten, was würden Sie sich wünschen?

Gemeinschaftlich zu agieren, dabei Geschlossenheit zu demonstrieren und den größtmöglichen Erfolg zu erzielen – in dieser Saison wäre das der erneute Klassenerhalt.

Foto: Sebastian Sendlak


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