Die VfL-Formel von Trainer David Siebers: Fight. Love. Victory.

Es ist einer dieser Montagnachmittage im Revier, an denen alles nach Routine riecht – bis das Telefon klingelt. David Siebers steht mit einem Umzugskarton in der Hand an der Karl-Lange-Straße. Das Talentwerk zieht gerade um, die Schreibtische sind leer, die Ordner sortiert, ein neuer Platz fürs Nachwuchsherz des Klubs. Dann kommt der Anruf: kurzfristig, überraschend, wegweisend. „Wenn der VfL Bochum nach Hilfe fragt, bin ich da“, sagt Siebers. Der Karton wandert zurück ins Auto. Der Rest des Tages bekommt plötzlich Tempo.

Am heutigen Dienstag sitzt der Neucoach im Presseraum, begrüßt mit einem „Glück auf“ und dem sichtbaren Drang, die Sache endlich anzugehen. Zwölf Jahre ist er im Verein, U-Mannschaften, Co-Trainer, Ausbilder – jemand, der das Innenleben des VfL kennt wie die Kratzspuren in den Kabinentüren. Jetzt also die Profis, vorerst. Eine Viertelstunde lang fliegen die Fragen, und Siebers zeichnet ein Bild davon, wie er diesen Klub in den nächsten Tagen wieder auf Kurs bringen will.

Kennenlernen – und klare Kante

„Heute ging’s erstmal um Kennenlernen“, sagt er nach der ersten Einheit. Am Abend zuvor hatte er schon mit Staff, Trainerteam und dem Mannschaftsrat gesessen, erste Gespräche geführt, den Puls der Kabine gefühlt. Die Spieler, sagt er, hätten ihn „mit offenen Armen“ empfangen – und dieses Gefühl trage sich auf den Platz. Seine Idee für den Neustart klingt simpel und doch anspruchsvoll: „Wir halten es sehr einfach, geben klare Leitplanken. Jeder soll genau wissen, was er zu tun hat. Dann entsteht Fluss, ein Flow.“

Weniger ist mehr – zumindest zunächst. In den vergangenen Wochen war viel von Verunsicherung zu hören. Siebers setzt deshalb zuerst auf Führung, auf Worte, die Halt geben, auf Strukturen, die den Kopf frei machen. „Ich bin ein kommunikativer Trainer“, sagt er, „ich will wissen, wo die Jungs herkommen – auch emotional.“ Einzelgespräche, Gruppengespräche, ein gemeinsamer Nenner. Erst dann, Stück für Stück, mehr Detail auf dem Platz.

Die VfL-Formel: Fight. Love. Victory.

Siebers verpackt seine Vorstellung in drei Buchstaben, die in Bochum schwer wiegen: V f L.
F wie Fight – „Kämpfen ist in der DNA dieses Vereins.“
L wie Love – Leidenschaft, Freude, Spaß am Beruf. „Wir wollen den Jungs den Spaß zurückgeben.“
V wie Victory – Siegesmentalität, vom Passwettbewerb bis zum Pflichtspiel. „Am Ende geht’s darum, zu gewinnen.“

Es sind große Worte, aber keine leeren. Siebers’ U-Teams galten als bissig gegen den Ball, mit klarem Zugriff. Aggressives Pressing? „Dafür stehe ich – also ist das natürlich ein Ansatz.“ Und noch ein Hebel: Standards. In jeder Liga wichtig, „gerade in der zweiten Liga“ mit hohem Wirkungsgrad. „Das wird ein Schwerpunkt – am liebsten mit kurzfristigen Effekten.“

Der Vorteil, der keiner Statistik bedarf

Interimsjobs starten oft bei Null. Nicht hier. Siebers hat „jedes Profispiel gesehen“, kennt die Abläufe, die Mitarbeiter, viele der Spieler aus dem Nachwuchs oder aus früheren Stationen. Ein Heimvorteil, der keiner Tabelle bedarf. „Das hilft in der Analyse – und im schnellen Reinkommen.“ Ein kurzer Austausch mit dem Vorgängerumfeld war drin, getragen von gegenseitiger Wertschätzung. Wichtig ist ihm, den Blick nach vorn zu richten: „Jetzt geht’s darum, mit dieser Gruppe Gas zu geben.“

Zwischen Talentwerk und Profikabine

Siebers’ Bindung an die U19 bleibt – nicht aus Pflicht, sondern aus Haltung. „Da gibt’s keinen Schalter“, sagt er. „Das läuft parallel weiter, auch wenn mein Fokus jetzt klar hier liegt.“ Organisatorisch übernimmt vorerst Simon Schuckert bei der U19; an seiner Seite Frank von Heinemann. Abends will Siebers trotzdem beim Nachwuchs vorbeischauen.

24 Stunden VfL? „So ungefähr – und vorher war’s auch nicht viel weniger.“

Nürnberg unter Flutlicht – eine Chance, kein Damoklesschwert

Samstagabend, Flutlicht, Nürnberg – das erste Etappenziel ist klar umrissen. Spürt die Mannschaft die Bedeutung? „Ja“, sagt Siebers knapp. „Und sie freut sich drauf.“ Er spricht von einer „tollen Gelegenheit“, einer Chance, das Narrativ zu drehen. Personelle Details verschiebt er bewusst auf die Spieltagspressekonferenz – der Fokus liegt auf dem, was sich sofort beeinflussen lässt:

Haltung, Klarheit, Energie.

Der Ton in der Kabine

Wer Siebers zuhört, hört keinen Revolutionär mit dem dicken Pinsel, sondern einen Trainer, der Ordnung schafft, die Köpfe entlastet und die Mannschaft emotional abholt. Einer, der ans Kollektiv glaubt und an die kleinen, konsequenten Schritte, die aus Verunsicherung wieder Selbstverständlichkeit machen. Aus Leitplanken wird irgendwann Mut, aus Mut Handlungssicherheit – und aus Handlungssicherheit Ergebnisse.

Am Ende der Fragerunde bleibt das Bild eines Mannes, der nicht groß ankommt, sondern einfach da ist. Einer, der aus einem Umzugskarton heraus in die Verantwortung springt und den Verein, den er seit zwölf Jahren atmet, mit drei Worten auflädt: Fight. Love. Victory. Jetzt muss die Mannschaft sie aufs Feld tragen. Samstagabend gibt es das erste Urteil unter Licht. Und vielleicht, wenn alles gut läuft, kommt der Karton an der Karl-Lange-Straße so bald nicht mehr zum Einsatz.

Foto: Sebastian Sendlak